Interview – Interview mit dem Pirat Christian Koch

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Verfasst von David am 25. September 2009 – 19:05

Bei angenehmen spätsommerlichem Wetter treffen wir den Landesvorsitzenden der Piratenpartei Niedersachsen. Was Christian Koch uns bei einem leckeren Kaffee in der Hannoveraner Innenstadt so alles erzählt hat, erfahrt ihr mit einem Klick auf ‘Weiterlesen’.

grassyworld.net: Kannst du dich erstmal vorstellen, damit unsere Leser überhaupt wissen, was du so machst?

Christian Koch: Ich heiße Christian Koch, bin zur Zeit Landesvorsitzender der Piraten Niedersachsen, 38 Jahre alt, kaufmännischer Angestellter und gerade im Wahlkampf.

grassyworld.net: Wie kommst du dazu, bei der Piratenpartei mitzumachen?

Christian Koch: Das hängt damit zusammen, dass in den letzten zehn Jahren doch einiges an Gesetzen durchgesetzt wurde, die die Freiheit und Grundrechte in Deutschland einschränken. Sei es die Vorratsdatenspeicherung, sei es die ganze Anti-Terror Gesetzgebung, bis jetzt zum Zensurgesetz, das eingeführt wurde. Das hat mir irgendwann gezeigt, dass es nicht mehr nur reicht, zu sagen “Das ist nicht in Ordnung”, um dagegen etwas zu machen, muss man es politisch machen. Deswegen die Piraten!

grassyworld.net: Wofür, neben des Stopps der Staatlichen Überwachung, tritt die Piratenpartei noch ein?

Christian Koch: Wir setzen uns insbesonders ein für eine neue Art der Kultur und Verbreitung von Wissen. Denn durch die Digitalität von Gütern, dem Verteilen von digitalen Medien, gibt es heutzutage ganz neue Möglichkeiten der Gemeinschaft etwas Gutes zu geben. Gerade jetzt diese Umbrüche, die sieht kein anderer. Diese Digitale Revolution, so muss man das jetzt inzwischen ja nennen, gibt so viele Möglichkeiten für die Gemeinschaft wirklich etwas Gutes zu tun und das wollen wir natürlich fördern und weiter ausbreiten und nicht, so wie es jetzt halt ist, einschränken

grassyworld.net: Wie soll insbesondere die Kultur dadurch gefördert werden?

Christian Koch: Das eine ist auf jeden Fall, dass das Recht auf die Privatkopie gestärkt wird. Das andere ist, dass jemand, der etwas erschafft, auch an seinem Werk wirklich die Rechte behält zum Verteilen. Heute ist es so, dass wenn jemand etwas schreibt oder komponiert, sich an einen Verlag oder einen Verleger wendet und seine Sachen dort publizieren will, ganz harte restriktive Auflagen erhält, was er mit seinem eigenen Gut machen darf. Da setzen wir uns ein, dass dort wieder ein Umdenken erfolgt, dass der Erschaffende wieder gestärkt wird und sich nicht selbst verkaufen muss. Ob das jetzt durch freie Lizenzen, eine “Flatrate”, der Kulturflatrate, die ja diskutiert wird, gemacht wird, das muss man noch im Detail sehen. Aber da muss auf jeden Fall jetzt etwas geschehen, sonst haben wir in zehn-zwanzig Jahren keinen Erschaffenden mehr, der etwas verdient.

grassyworld.net: Viele behaupten immer, dass dies zur Legalisierung des Filesharings führen würde. Was sagt du dazu?

Christian Koch: Filesharing ist erstmal nicht negativ und nicht illegal. Filesharing bietet sich heute an, um große Datenmengen an möglichst viele Leute zu verteilen. Im Softwarebereich ist das heute Gang und Gebe. Auch im Musikbereich: Es gibt unglaublich viele Bands und Musiker, die ihre Stücke frei verteilen und auch über Filesharing legal anbieten. Also eine wunderbare Möglichkeit, Dinge zu verbreiten – nicht immer nur Negatives. Das da auch urhebergeschütze Werke mitverteilt werden, da muss man gucken, wie soll es denn generell sonst passieren, wenn ich privat etwas kopiere? Wenn ich eine CD habe, diese kopiere und an einen Freund kostenlos weitergebe, ist das erlaubt. Wenn ich das an zwei oder drei Freunde mache, ist das unter Umständen auch noch erlaubt, aber wenn ich das online mache, nicht mehr. Das heißt, da muss man gucken, wo da der Unterschied ist und wie muss man das dann rechtlich ändert.

grassyworld.net: Inwiefern sollen junge Musiker da heran gehen? Sollen sie zu einem Label gehen oder ihre Musik bei Jamendo publizieren?

Christian Koch: Das muss jeder für sich selber wissen, wie er das machen möchte. Ob er zu einem Label hingeht, sei es Major oder Indie Label, und sich da verkauft oder ob er es über seine eigene Webseite, Jamendo oder ähnliche Quellen macht unter einer CC Lizenz. Myspace ist für Bands auch eine sehr gute Möglichkeit, um bekannt zu werden. Ich denke mal das, was die Meisten nach wie vor vorhaben, ist ein Livepublikum zu suchen. Sie können zwar so viel produzieren, schaffen wie sie wollen, aber wenn sie es nicht so rüberbringen, dass die Leute es auch mögen und verteilen, dann werden sie auch keine Chance haben. Da muss, denke ich, bei den Bands und Musikern generell ein kleines Umdenken erfolgen. Es ist heute nicht mehr so: ich trete auf der Straße auf, klimper ein bisschen auf meiner Gitarre rum und werde von wem zufällig Vorbeilaufenden entdeckt. Die Zeiten sind heute, denke ich, sowas von vorbei. Dafür haben wir andere Wege, wo auch genau diese Leute suchen. Nämlich im Internet. Wenn ich im Internet auf meiner eigenen Seite bei Jamendo, MySpace oder YouTube etwas anbiete, ist die Chance natürlich auch viel größer, dass ich da gefunden werde und sogar Fans sich schon finden.

grassyworld.net: Warum sollte man die Piraten wählen, wenn die zu vielen Themen, wie dem Mindestlohn und dem Afghanistan Einsatz gar keine Meinung haben?

Christian Koch: Zum einem müssen wir nicht zu allem eine Meinung haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir treten an als eine Partei, die in einem kleinem Feld an Themen sehr kompetent ist.

grassyworld.net: Viele neue Parteien zerbrechen schnell an inneren Machtkämpfen. Wie siehst du die Zukunft der Piratenpartei in fünf, sechs Jahren?

Christian Koch: Zusammenbrechen werden wir mit Sicherheit nicht. Dafür sind wir mit dem, was uns gerade erwartet oder mit dem, was da auf uns, seit der Europawahl, hinzugekommen ist, doch schon sehr gut fertig geworden. Im Gegenteil, wir haben uns sehr gut positioniert. Wir werden inzwischen immer weiter wahrgenommen und wir kriegen immer mehr Leute, die organisatorisch, strukturell eine gewisse Erfahrung mitbringen, die uns auch helfen. Wir werden nicht wieder verschwinden wie eine Eintagsfliege. Im Gegenteil: Wir werden in den Bundestag einziehen. Das ist ganz klares Ziel. Wir werden auf jeden Fall unsere Themen durchsetzen. Das können wir nur politisch. Wir werden da so lange sägen an den Stühlen und Salz in die Wunden streuen bis unsere Themen umgesetzt werden. Von daher wird es die Piratenpartei auch in fünf bis zehn Jahren noch geben. Dann mit anderen oder erweiterten Themen wesentlich stärker aufgestellt.

grassyworld.net: Besteht nicht die Gefahr, dass durch die Mitglieder, die ihr von den anderen Parteien bekommt, sich eure Strukturen nicht wieder verhärten?

Christian Koch: Zum einem freuen wir uns natürlich, dass die Leute reinkommen, weil sie eine gewissen Ahnung haben wie man organsiert arbeitet, wie man strukturiert arbeitet und sich etwas aufbaut. Weil ganz ohne Strukturen, chaotisch, funktionert es nun mal auch nicht. Dann sind wir natürlich auch durch Gesetze daran gebunden wie wir eine Partei aufzubauen haben: Einen Vorstand, der gewählt wird. Dann gewisse Auflagen was Delegiertenversammlungen und so weiter angeht. Das muss alles beachtet werden. Aber auf der anderen Seite hat die Piratenpartei als einzige Partei nach wie vor dieses “basisdemokratische”. Bevor irgendwas veröffentlich wird, wird in der privaten Masse der Mitglieder diskutiert. Jeder kann mitbestimmen. Jeder kann seine Ideen mit einbringen. Man muss nicht mal Pirat sein. Aber wenn es zur Abstimmung kommt, werden natürlich Piraten gehört. Das Element, dass jeder Kleinste mit seiner Entscheidung beachtet wird in das Große, dass wird beibehalten. Das ist ein schwerer Weg, aber es ist machbar.

grassyworld.net: Kannst du erklären wie die basisdemokratischen Prozesse innerhalb der Piratenpartei funktionieren?

Christian Koch: Also zur Zeit ist es so, dass wir uns hauptsächlich über Stammtische, über elektronische Wege unterhalten und da diskutieren. Wir haben das Forum zum Beispiel, wo sehr heiß diskutiert wird, gerade auch über aktuelle Themen wie Finanzkrise und den Afghanistan Einsatz. Da werden schonmal die Strukturen festgelegt: Was wird diskutiert? Wie wird diskutiert? Wo können wir einen Punkt zum Konsens finden?
Wir haben das Wiki, wo solche Sachen dann weiter im Detail erarbeitet werden, wo jeder auch wieder diskutieren kann. Dann haben wir noch die Mailinglisten. Aber insbesonders die Stammtische. Wir haben in Braunschweig einen Stammtisch, der ist sehr sozial geprägt. Die möchten das Thema soziale Strukturen in die Partei einbringen und das wird auch irgendwann klappen. Sie arbeiten das aus, das ist jetzt auch schon in den Landesvorstand eingeklungen, und das wird dann auch auf die Bundesebene aufsteigen. Es kommt wirklich nicht von oben nach unten, sondern es wird von unten nach oben gearbeitet.

grassyworld.net: Also anders als bei den anderen Parteien?

Christian Koch: Bei den anderen Parteien kann man froh sein, wenn man mal irgendwas unten sagt: “Hier ich hab ne Idee!” und das überhaupt oben ankommt. Das ist genau der Punkt. Das gerade die etablierten Parteien, die schon lange dabei sind, wenn man sich mit den Leuten auch dem Vorstand unterhält, sie können gute Idee einfach nicht umsetzen, weil sie geblockt werden. Bei uns ist das nicht der Fall. Wenn der Pirat an sich sagt, ich würde dieses Thema gerne haben und dafür eine Mehrheit findet, dann wird das auch nach oben getragen und dementsprechend umgesetzt.

grassyworld.net: Anderes Thema: Wie läuft der Bundestagswahlkampf?

Christian Koch: Eigentlich sehr gut. Wenn man bedenkt, dass die Piraten keine Merchandising Aktion haben, keine Web- oder Werbeagentur, die dafür zich hunderttausend Gelder in eine PR-Strategie einsteckt, haben. Das machen alles die Piraten selber aus eigener Hand mit eigenen finanziellen Mitteln. Wir haben keine Wahlkampfunterstützung, das kommt erst nächstes Mal. Sondern es ist sehr viel Engagement und viel Freizeit von den einzelnen. Das heißt es sind überall Leute, die sich Plakate besorgen und wieder auch über den Landesverband Plakate besorgen, selber Genehmigungen in den einzelnen Städten holen und die Sachen auch aufhängen. Selber Material verteilen, unter die Leute gehen, selber Stände machen – es ist sehr viel Eigeninitiave dabei und das ist die Organisation dazu wie das im Wahlkampf so zu sich geht. Nebenbei gibt es Interviews oder auch Fernsehauftritte.
Der Wahlkampf findet nicht nur auf der Straße sondern auch im Netz statt. Wir haben inzwischen drei oder vier Seiten nur allein für die Wahl. Sei es für die Wahlwerbespots, sei es, um die Meldungen die im Internet über die Piraten kursieren, zu sammeln. Und natürlich noch andere Seiten, wo man wieder mitdiskutieren kann oder selber mit Ideen ausbauen kann. Das sind so die Hauptaugenmerke auf die Bundestagswahl.

grassyworld.net: Denkst du, dass das Ziel von 5% schaffbar ist?

Christian Koch: Ja.

grassyworld.net: Auch wenn man bedenkt, dass die Piraten eher in Städten gewählt werden?

Christian Koch: Selbst auf dem Land. Jetzt als Beispiel in Niedersachsen haben wir etwa in 20 Orten Stammtische. Niedersachsen hat sechs oder sieben größere Städte über 100.000 Einwohner. Dann haben wir viel Kleinkram bei 50-80.000 Einwohner. Wir haben aber auch viele Piraten die auf dem Land oder in einer Kleinstadt, die gesamte Region mit abdecken. Von daher werden wir auch auf dem Land durchaus die einen oder anderen Prozente bekommen. Auch nicht nur da, wo Studenten sind: Wir haben zum Beispiel in Lüchow-Dannenberg die Ecke, da gibts einige sehr aktive Piraten, wo es auch die ersten Ex-Grünen gibt, die zu den Piraten übergehen. Das aufs Ländliche zu beziehen, muss eigentlich nicht sein.

grassyworld.net: Wenn du die Piratenpartei als ein Piratenschiff bezeichnen würdest. Wie sähe es aus?

Christian Koch: (lacht) Da ich bildlich zwar was vor mir habe, aber nicht gut beschreiben kann. … Ich weiß es nicht. Also es hätte auf der einen Seite natürlich, wie man sich das bei einem Piratenschiff vorstellt, schöne Segel, Takelage und Holz. Auf der anderen Seite auch schon ein Hochleistungsschiff, wo ordentlich viel Power drin steckt und ziemlich schnell über die Meere schippert und es allen Stürmen trotzt. Naja, schwer zu beschreiben.

grassyworld.net: Möchtest du unseren Lesern abschließend nocht etwas sagen?

Christian Koch: Klar, in Niedersachsen Piraten wählen! Ansonsten, wie gesagt, man muss nicht Pirat oder Mitglied bei den Piraten sein, um mit uns was zu erreichen. Die Piratenpartei lebt vom Mitmachen, vom aktiv Sein, vom Mitdiskutieren, vom selber Ideen einbringen. Das Ganze ist so transparent wie es nirgends anders möglich ist. Es ist die einzige Möglichkeit, heutzutage noch Politik selber mitzugestalten. Das ist die beste Möglichkeit, derzeit aktiv zu werden. Also nicht nur Piraten wählen, sondern auch mitmachen.