Datenhygiene

EschersChaos © 2013 by James J. Kiefer

Datenhygiene (via taz) impliziert etwas dreckiges, etwas soll verborgen bleiben außerhalb eines sterilen Umfeldes. Unsere Daten sind, technisch bedingt, erst einmal weder sauber noch dreckig, sondern neutral. Nur durch den jeweiligen Betrachter werden sie in ihrer Aussage individuell bewertet. Es wird für die Herstellung eines allumfassenden Bildes über ein Individuum versucht, aller Daten habhaft zu werden, und diese durch Algorithmen so zu verknüpfen, dass Quellen strukturiert, verglichen und Rückschlüsse auf neu geschaffene Inhalte oder Merkmale gezogen werden können.
Behörden und Wirtschaftunternehmen verfolgen daher jeweils nur ein Ziel mit ihrem unstillbaren Datenhunger. Ein Unternehmen will Geld verdienen und der Staat soll seine Bürger beschützen. Daher ist das Interesse schier unendlich wenn es darum geht zu erfahren, wie tickt er denn so, der Mensch? Was plant er wann zu tun und vor allem warum und möglichst mit wem? Wie kann individuelles Verhalten erklärt und möglichst genau vorhergesagt werden? Wie funktioniert der Mensch im Zusammenspiel mit anderen Menschen? Was ist derjenige bereit dafür zu geben?
Durch die stetig steigende Nutzung des Internets als Übertragungsweg von digitalem Gut in all seinen Facetten, ist es inzwischen schier unmöglich zu sagen, wo all diese Daten am Ende landen, gespeichert und verarbeitet werden. Es ist auch nur noch schwer zu kontrollieren, in wie weit technische Geräte (Internet der Dinge, Smartphone-Apps, etc) selbständig Informationen (wie z.B. Standort, Benutzerverhalten, o. ä.) weitergeben, insbesondere wenn sie zur Funktionsfähigkeit die Nutzung des Internet sogar voraussetzen.
Die herangezogenen Daten können dabei so schmutzig sein wie sie wollen. Es ist den Informationen, die digital generiert werden, so ziemlich egal ob sie willendlich abgegeben, oder heimlich abgefischt wurden. Letztendlich hat derjenige, der sie erfasst sich zu rechtfertigen, woher er diese Information hat, wie er sie verwendet und an wen er sie weiter gegeben hat. Grundlagen hierfür sind nationale Gesetze zum Datenschutz. Diese unterliegen den Verfassungen und Rechtsprechungen in den jeweiligen staatlichen Grenzen. Es ist also bisher in aller erster Linie eine national begrenzte, rechtliche, und weniger ethisch-moralische Frage. Letzteres kommt bisher immer erst dann in Betracht, wenn Persönlichkeitsrechte oder wirtschaftliche Interessen verletzt oder missbraucht werden.
Die Mär von der gerechten Welt, die wir alle gerne wollen und in unserem realen Umfeld bisher nicht erschaffen konnten, die soll es im digitalen geben. Dort soll es sauber sein, gerecht zugehen, mit Vorteilen für alle. Doch es ist wie in der echten Welt, ohne ein Mindestmaß an Selbstschutz und den Einsatz des gesunden Menschenverstandes ist es auch dort teilweise gefährlich sich zu bewegen. Wenn einmal Schaden entstanden ist, dann muss im eigenen Interesse dagegen vorgegangen werden, möglichst frühzeitig.
Einem fremden Menschen auf der Straße offenbare ich nicht die vertraulichen Informationen meiner Krankenakte. Aber der Cloud eines Gesundheitsanbieters übergebe ich neben meinen tagesaktuellen Blut- und Kreislaufwerten auch gleich noch die OP-Berichte und Krankmeldungen. Der Buchhändler in der Fußgängerzone sieht mich einmal im Quartal. Der Anbieter im Internet erfährt sekündlich meine digitalen Aktivitäten mit jedem weiteren Klick nach der Eingabe eines Suchbegriffs auf seiner Webseite. Einen handschriftlichen Brief versende ich in einem verschlossenem Umschlag an einen Brieffreund in Australien. Meine E-Mail liest der Verfassungsschutz eines befreundeten Staates zwei Jahren nach dessen Versand. Die wurde bis dahin vorsorglich ungelesen gespeichert, aber da ich das Land jetzt besuchen will schaut man dann doch mal genauer nach mit wem ich kommuniziere und über was wir uns so austauschen.
Es ist unvorhersehbar, was mit dem, was wir heute bewusst oder unbewusst von uns auf digitalem Weg preisgeben, oder was als Datenspur mit uns verknüpft und generiert wird, passiert. Wir können es nur vermuten.

© 2013 by James J. Kiefer

Wir verlieren die Entscheidungshoheit und geben diese möglicherweise umfassend und endgültig an wirtschaftliche und staatlichen Stellen ab. Was wir machen, wie wir etwas durchführen können und ob wir überhaupt etwas machen dürfen. Dann wird unsere heutige Datenfreizügigkeit dafür gesorgt haben, dass ein datenhygienisches Umfeld entsteht, ohne Individualismus und die Möglichkeit der freien Entfaltung. Eine Welt der vorgefilterten Daten, in der für den einzelnen nur das zu sehen sein wird, wovon Algorithmen glauben, dass der Mensch speziell nur das entdecken sollte.

Wir müssen jetzt auch diese Diskussion parallel zu der reinen rechtlichen Betrachtung führen, hin zu einer inhaltlichen Diskussion darüber, ob wir in einer kontrollierten Welt Aufgrund unserer kombinierten Daten, leben wollen. Oder eben nicht.

Es wird keine Diskussion sein wo wir die Wahl zwischen Pest und Cholera haben, kein schwarz kein weiß. Dafür haben wir uns freiwillig bisher zu gerne die Datenströme und Technik zu nutzen gemacht, und verschwimmen in den Grautönen. Wir müssen nur endlich aufpassen, dass wir nicht den Überblick verlieren. Wir dürfen nicht mit falschen Mechanismen wie einer allumfassenden Überwachungs- und Sammelindustrie versuchen, das Internet und damit dann uns als Individuen zwangszuregulieren.

Dies kommt einer gewaltsamen Machtergreifung nahe, und führt zwangsläufig, wie auch außerhalb des Internets im “echten” Leben, zu Diktatur und Revolution. Nur das diese Revolution nicht digital bleiben würde, denn wir sind bereits zu sehr mit dem digitalen Leben verknüpft und nicht bereit dieses weiter aufzugeben.

Einschnitte wie Bestandsdatenauskunft, Vorratsdatenspeicherung, Kontrollen wie PRISM und Tempora, Verletzung der Netzneutralität, veraltete Urhebergesetze und ein nicht international abgestimmter und bürgergerechter Datenschutz. Das alles und noch vieles mehr sind Problemfelder, die wir jetzt angehen müssen. Rechtlich, gesellschafts- und systemrelevant sind sie und wir müssen mit einem Skalpell und nicht der Keule, wie es in den letzten 10 Jahren nur zu gerne versucht wurde, für saubere und sinnvolle Übergänge sorgen.

Jetzt für später. In beiden Welten. Digital und real und dem was dazwischen ist.

2 Responses